Chancen und Herausforderungen
digitaler «Helfer»
Fitness-Apps und Co.
Fitness-Apps, Schrittzähler oder Pulsuhren, haben sich auch bei älteren Menschen immer mehr durchgesetzt. Diese Technologien sollen im Idealfall zur Bewegung motivieren und das körperliche Wohlbefinden verbessern oder zumindest erhalten. Auf den ersten Blick gibt eis bezüglich der Nutzung solcher digitalen, technologischen «Helfer» kaum Unterschiede zwischen «Jung» und «Alt». Das verwenden solcher Technologien verändert jedoch die Selbstwahrnehmung. Wie Selke (2009) festhält, rückt das Erfassen von Körperfunktionen in den Vordergrund, während individuelle Körperwahrnehmung in den Hintergrund treten (Selke, 2009, S. 18-30). Der Körper wird dadurch als messbares «Objekt» wahrgenommen (Zillien et al., 2015). Bei älteren Menschen zeigt sich jedoch auch ein anderes Nutzungsmuster. Pulsuhren beispielsweise, wurden ursprünglich für leistungssteigerndes Training entwickelt, aber von Senior*innen meist zur Überwachung und Kontrolle von Körperfunktionen eingesetzt. Es geht also weniger um das optimieren sportlicher Höchstleitungen, sondern um den sorgsamen Umgang mit dem eigenen Körper. Urban (2016) beschreibt dies als Teil des «Alterspräventions»-Prinzips, welches die Sorge um den altersbedingten, körperlichen Abbau beinhaltet (Urban, S. 168-176). Die Bedeutung digitaler Teilhabe im Alter hängt also fest davon ab, wie diese digitalen Technologien in den Alltag älterer Menschen integriert werden. Ein zentraler Ansatz ist die Gestaltung sogenannter «soziotechnischer Ensembles», die Technik und soziale Interaktionen miteinander verbinden. Nur wenn diese systematisch auf die individuellen Bedürfnisse älterer Menschen abgestimmt werden, können sie auch eine echte Unterstützung bieten und neue Möglichkeiten für die Teilhabe schaffen. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass der Einsatz solcher Technologien auch neue Herausforderungen mit sich bringen könnte, insbesondere im Gesundheitsbereich (Biniok, 2023, S. 98).
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Neue Möglichkeiten zur Diagnosestellung
Auch aus medizinischer Sicht bringen neue Technologien, wie bereits erwähnt, neue Herausforderungen mit sich. Dennoch bieten solche Technologien im medizinischen Kontext auch ein grosser qualitativer Mehrwert – egal in welchem Lebensalter sich jemand befindet. Langzeitüberwachung, etwa für chronische Erkrankungen wie Diabetes oder Herzkrankheiten, ermöglichen eine individuelle Behandlung. Dies verbessert die Lebensqualität und auch die Lebenserwartung, der Patient*innen (Mort et al., 2013, S. 251-254). Dies schafft einerseits Autonomie und entlastet Gesundheitssysteme, erfordert aber auch neue Kompetenzen seitens der Nutzer*innen. Hier zeigt sich ein unausgeglichenes Bild: Einerseits stärken diese Technologien die Eigenverantwortung der Nutzer*innen und ermöglichen eine effizientere Gesundheitsversorgung. Andererseits könne sie auch Stress auslösen, weil sich ältere Menschen neue, nicht intuitiv bedienbare, technologische Anforderungen anpassen müssen. Die neuen Technologien führen auch zu einer gewissen Verlagerung der medizinischen Verantwortung in den privaten Bereich, was eine sicheren und kontinuierlichen Umgang mit Technologien erfordert (Lehoux et al., zit. in., Urban, 2019). ​
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Zusammenfassung der Chancen und Herausforderungen von digitalen «Helfern»
Obwohl digitale Technologien das Potenzial haben, die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern, bergen sie erhebliche Herausforderungen. Die zunehmende Abhängigkeit von und digitalen «Helfern» kann die persönliche Freiheit einschränken und das Gefühl der Kontrolle über den eigenen Körper verringern. Besonders schwierig ist die Verschiebung der medizinischen Verantwortung. Während Pflegeprozesse zuvor von entsprechenden Fachpersonen gestaltet wurden, sind nun die Senior*innen selbst gefordert, technologische Kompetenzen zu entwickeln und anzuwenden um einen Teil dieser Aufgaben zu übernehmen. Digitale Technologien bieten älteren Menschen sicherlich neue Möglichkeiten für die Gesundheit. Trotzdem sollten sie nicht als eine Art Ersatz für die persönliche Pflege und die zwischenmenschliche Interaktion verstanden werden. Stattdessen sollten sie als wertvolle, ergänzende Unterstützung eingesetzt werden, welche ältere Menschen in ihrer Selbstbestimmung und Autonomie fördern.
Selbstbestimmtes Wohnen
Technologische Lösungen können älteren Menschen auch dabei helfen, länger selbstständig in den eigenen vier Wänden zu leben. Dazu gehören beispielsweise Notfallknöpfe, Sprachsteuerungen oder moderne «Smart-Home»-Anwendungen. Dennoch kommt es mit solchen technischen Lösungen immer wieder zu Schwierigkeiten. Dies liegt oft daran, dass die tatsächlichen Bedürfnisse älterer Menschen, wie ihre Tagesstruktur oder ihre technischen Fähigkeiten, nicht ausreichend berücksichtigt werden. Gleichzeitig fehlt es an einer guten Zusammenarbeit den zwischen Entwickler*innen, den Hersteller*innen und den Menschen, die die Technologie schlussendlich verwenden. Dennoch können solche Technologien die Lebensqualität erheblich verbessern, insbesondere weil die Wohnung im Alter oft zum zentralen und wichtigen Lebensort wird. Das gilt umso mehr, wenn Mobilität oder Gesundheit vermehrt eingeschränkt sind. Die Möglichkeiten sind vielfältig und reichen von der zentralen Steuerung von Licht und Rollläden bis hin zur automatisierten Fernüberwachung technischer Geräte. Trotz der Vorteile und Möglichkeiten sieht die Realität manchmal etwas anders aus. In der Öffentlichkeit wird oft pauschal von «den Alten» gesprochen, obwohl diese Gruppe äusserst unterschiedlich ist. Vor allem die 65- bis 85-Jährigen haben unterschiedliche Ansprüche, Fähigkeiten und Interessen. Technik wird zudem von vielen Nutzer*innen als zu kompliziert empfunden, was dazu führt, dass die Akzeptanz geringer ist, als sie sein könnte. Hinzu kommt, dass es an gezielter Aufklärung und Hilfestellung fehlt, damit ältere Menschen die Vorteile solcher Systeme wirklich verstehen und nutzen können. Damit die technischen Lösungen aber für ein längeres, selbstbestimmtes Leben auch etwas bringen, müssen noch einige Hürden abgebaut werden. Es braucht eine stärkere Einbindung der Zielgruppe (65+), um die Produkte benutzerfreundlicher und alltagstauglicher zu machen. Ausserdem ist eine engere Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Akteuren notwendig, also von der Forschung über die Produktion bis hin zu den Detailhändler*innen. Schlussendlich geht es darum, älteren Menschen nicht nur Zugang zu neuer Technologie zu ermöglichen, sondern sie so zu gestalten, dass sie intuitiv und unterstützend wirkt, anstatt zu überfordern.
Die Wohnung als Lebensmittelpunkt im Alter sollte durch technische Unterstützung sicher, komfortabel und einfach zu bedienen sein, ohne dabei die finanziellen Mittel der Zielgruppe zu übersteigen. Mit den richtigen Ansätzen und besserer Koordination kann Technologie nicht nur die Selbstständigkeit erhalten, sondern auch ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, Sicherheit und Lebensqualität vermitteln (Heinze, 2018, S. 15-20).